Bergsteigen in Bolivien (2)
Hohen Berge in Bolivien
► Teil 2 - Bergsteigen heißt Erfolg und Scheitern zugleich
Texte und Fotos von Axel Bauer
Das Ungewisse kribbelt Nach dem Berg ist vor dem Berg! Wenn man in den Genuss eines Gipfels bei Sonnenaufgang gekommen ist, bildet das Suchtcharakter. Mit diesem wunderbaren Hochgefühl steigen wir vom Pequeno Alpamayo (5370 m) ab, die Luft wird wieder wärmer, das Leben erfüllt den Körper und umströmt den Geist.
Zurück in La Paz spüren wir jedoch, wie stark wir ausgezehrt sind. Wir essen auf dem Markt doppelte Portionen Kartoffel und Hühnchen und trinken fruchtige Vitaminsäfte.
Doch die Zeit, in der wir ruhig und tatenlos sind, uns selbst Ruhe gönnen, ist kurz.
Wir haben quasi vor Augen was unser nächstes Ziel ist. Der Illimani, ein Koloss von Berg, der von der Stadt wunderbar zu sehen ist. Selbst in der Nacht leuchten die Eisflanken und überstrahlen in Würde alle Häuser der Indiometropole um ein Vielfaches.
Wir streichen durch die belebten Strassen, kaufen hier ein Beutel Nudeln, dort Äpfel und an einem nächsten Stand Milchpulver ein. In Gedanken gehen wir Tag für Tag am Berg durch. Wie schnell kommen wir vorwärts, wo essen wir was? Nur nichts vergessen aber trotzdem nur das unbedingt Notwendige dabeihaben. Gut 95% aller Bergsteiger an Boliviens Bergen sind mit Bergführern und organisiert unterwegs. Das heißt, ihnen wird das Gepäck getragen, warmes Essen gereicht und am Schluß zieht der Guide am Seil bis der Gipfel naht. Der Service ist im Gegensatz zu europäischen Bergen spottbillig.
Was soll ich sagen, wo leuchtet hier das Abenteuer? Wo kribbelt das Ungewisse, wo bleibt die Demut vor einem riesigen Sechstausend Meter hohen Berg, der alles abwirft was ihm nicht passt?
6442 m über dem Meer Wir organisieren uns einen Transport und werden auf steinigen Pisten 4 Stunden durchgeschüttelt bis wir in Pinaya ankommen. Es ist der Ort, wo die Zivilisation endet und für uns der Aufstieg mit den dicken Rucksäcken beginnt. Je weiter wir gehen, desto größer wird der Berg. Kontouren, Bergflanken, ja die vielen verschiedenen Farben von Pacha Mama, Mutter Erde werden klarer und leuchtender. Unser Basecamp ist perfekt, ebene Wiese, Wasser und gleißender Sonnenuntergang. Nach uns kommen weitere Bergaspiranten, alle wie schon beschrieben mit viel Aufwand und Trägern am Start.
Am späten Vormittag steigen wir von 4450 m ins Nest des Kondors auf 5450 m, also 1000 Höhenmeter auf. Alles was nicht unbedingt notwendig ist, verstecken wir vorher unter schweren Steinen. Darunter auch eine hausgemachte Knackwurst als Belohnung für danach.
Jeder der schon einmal sich selbst und einen "Beutel" auf dem Rücken auf 4000 m Meereshöhe geschleppt hat weiß, daß hier das Leiden beginnt. Der Körper stellt dir wichtige Fragen: Erstens, was soll das? Die Beine werden weich, die Verdauung wirkt unkontrolliert und die Gedanken schlafen ein. Je höher wir kommen, also näher dem Ziel, desto müder werden die Schritte. Eine Zweite Frage: Kann ich mich hier hinlegen und einfach einschlafen? Als wir uns ins Hochlager schleppen, kann die Frage nach dem Schlafen mit ja beantwortet werden. Auf einer Gletscherzunge, gut 1m neben einer Spalte stellen wir das Zelt auf und schmeissen uns auf die Schlafsäcke. Ein Ruhepuls zwischen 80 und 100 Schlägen pro Minute bringt selbst in dieser Situation und in der Nacht keine Erholung.
Als wir morgens um 2:15 Uhr aufbrechen, Eispickel in der Hand, scharfe Steigeisen am Fuß, sind wir hochmotiviert. Die ersten 5 m bringen uns zurück, wo wir sind. An den Steilen Flanken des Illimani. Wir atmen wie beim Zielsprint, der Kopf fängt an zu hämmern. Das Erfolgsrezept heißt jetzt Rhythmus finden. Über uns wieder eine Reihe von leuchtenden Stirnlampen auf die wir Schritt für Schritt zusteuern. Der Mond leuchtet, es ist klar und der Wind bläst uns harte Kälte ins Gesicht. Die anderen Gruppe scheinen zu stehen, Bergführer versuchen gegen die Kälte und für den Gipfel an den Klienten zu zerren. Wie störrische Esel bewegen sie sich kaum, unfähig sich den nächsten Schritt vorzustellen. Die Höhe lähmt selbst die Hochmotivierten.
Maja klagt über eisige Füße, Tobi stützt sich auf den Eispickel und meine Handschuhe wirken zu dünn, kurzum auch wir fühlen uns dem Nirvana ein Stück näher. Doch wir laufen mit der Kraft der Zuversicht weiter. Besser wir steigen auf allen Vieren mit Einsatz des Eispickels, denn es ist steil und der Wind will uns aus der Wand blasen. Wir sind jetzt ganz alleine, die Dunkelheit umringt uns. Dann erscheint der Gipfelgrat, der sich in die Nacht hinaus zieht. Wo bleibt das Licht? Wo die Sonne? Nach 3 h und 18 Minuten erreichen wir den Gipfel des Illimani mit 6442 m und fallen uns vor Glück in die Arme. Kein Ort rundherum ist höher!
Es ist immer noch mitten in der Nacht, als wir den kalten Abstieg beginnen. Leider haben alle anderen Gruppen aufgegeben und liegen zum Aufwärmen in den Zelten.
Die Wurst liegt in einem anderen Bauch Das Tal bringt die gesuchte Erholung und wir freuen uns auf die versteckte Knackwurst. Was wir zu sehen bekommen, läßt uns zusammen sacken. Von großen Tieren ist alles durchwühlt, gefressen und verteilt. (es war mit schweren Steinen gesichert) Aufgerissene Tüten, verteilte Töpfe und herumliegende Turnschuhe bilden eine elendiges Bild. Aus dem Festmahl wird jetzt "Hunger aushalten". Die Wurst liegt in einem anderen Bauch und wir fassen es kaum. Nach langen Abstieg verbringen wir eine zusätzliche Nacht im Bergdorf Pinaya. Wir blicken in die Weite, versuchen die letzten Stunden zu fassen und zu verstehen.
Wieder kehren wir nach La Paz zurück, um die Wunden zu lecken. Noch steht ein weiteres Ziel auf unserer Liste. Der Sajama mit 6542 m der höchste Berg Boliviens.
Der sonst immer sonnige Wetterbericht zeigt jetzt auf Schnee und Sturm. Auf Wetterbesserung hoffend, fahren wir in die größte Salzpfanne der Welt, in die Salar Uyuni. Doch es füllt die Tage nicht nur gut, sondern wir bekommen große staunende Augen. Eine Welt wie sonst nirgendwo, weiß, klar und rein.
König Sajama? 5 Tage vor der Heimreise fahren wir schließlich zum König Sajama. Aus dem Autofenster sehen wir nebelverhangene Berge, meistens sehen wir sie nicht. Am Nationalparktor weißt uns der Wärter zurecht, das Bergbesteigungen wegen des Wintereinbruchs momentan verboten sind. Wir lassen die Schultern hängen aber fahren weiter. Was jetzt? Am Zustieg zum Basislager lassen wir uns absetzen und sagen Lucio, unserem Fahrer, in 3 Tagen soll er uns bitte wieder abholen. An einem offenen Steinhaus mit wunderbaren Talblick deponieren wir unsere Sachen und steigen zur Erkundung ins Basislager auf 4800 m. Wild und tief verschneit liegt der Berg vor uns. Unseren Spuren folgend kommen 3 argentinische Bergsteiger mit vollen Rucksäcken entschlossen angelaufen. Wir schmieden einen Plan.
Nach eisiger Nacht überstrahlt die Sonne das weite und verschneite Tal mit Blick auf die Vulkane Parinacota und Pomerape. Rundherum ist alles weiß, ein Bild wie aus Alaska. Seit wie vielen Jahren oder Jahrzehnten gab es in dieser Wüstengegend das letzte mal Schneefall?
Am neuen Tag steigen wir mit voller Alpinausrüstung zum Basislager und gleich weiter in Richtung Hochlager auf 5700 m auf. Doch so einfach wird es nicht. Durch den Schnee ist der Weg schwer und das letzte Stück kommen wir nur noch auf allen Vieren vorwärts. Die Höhe, die Kälte, der steile Aufstieg, die schwindende Kraft bringen uns an die Leistungsgrenzen. Und doch: Wir blicken weit in die Welt da draussen, schauen von oben auf das Land ringsum. Schnell wird's kalt und das Zelt ist der einzigste Schutz. Unser Kocher schnurrt, um Schnee zu schmelzen. Jede Faser im Körper wehrt sich: "Der Köper will aus der Höhe runter, ins Warme. Der Ehrgeiz sagt nach oben!" so fasst es Maja treffend zusammen. Wie Heringe liegen wir in der Nacht nebeneinander im Zelt, finden keinen Schlaf, weil der aufkommende Schneesturm am Zelt reißt. Gegen halb fünf kommen die Argentinier aufgestiegen, machen bei uns eine Pause. Maja entscheidet sich mitzugehen, einen Gipfelversuch zu unternehmen. Tobi und ich bleiben, Bedingungen und Energie sprechen dagegen. In Gedanken sind wir bei den vier da draussen, die im umherwandernden Nebel verschwinden. Im ersten Licht des Tages, dass den Berg wach küsst, bauen wir das Lager ab, befreien alles vom Schnee. In diesem Moment sehen wir die 4 anderen absteigen. Der tiefe Schnee und das schlechte Wetter haben sie nach 300 Höhenmeter zum Aufgeben gezwungen. Safety first! Das Schneetreiben wird stärker und wir sind uns einig, dass es eine kluge Entscheidung ist jetzt abzubrechen, auch wenn der Gipfelerfolg alles versüssen würde.
Was bleibt sind die Erinnerungen an wilde Tage und schlaflose Nächte, wachsende Bärte und stinkende Socken, Müsli was wir nicht mehr essen wollen und Sehnsüchte an reife Kirschen im Sommer.
Oder wie es Maja im Hochlager zum Besten gegeben hat: " Ein Biathlon Wettkampf ist hart aber nach 30 Minuten vorbei, Bergsteigen ist hart aber dauert Tage."
Es grüßt euch aus Südamerika Tobi, Maja und Axel
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