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Georgien, Kaukasus - ...Sturz ins Eis (4)
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Kaukasische Entdeckungsreise


Teil 4: Sturz ins Eis

Adlernest Die Nacht im Zelt war so lala. Es war so etwas zwischen schlafen und wachen, zwischen Himmel und Erde. Ein undefinierter Zustand. Was passiert mit einem auf 3653m über dem Meer, wenn der Körper selbst im Schlaf noch arbeitet. Sich an die Höhe zu akklimatisieren heißt viel Geduld zu haben, auch wenn man sofort liebend gerne zum Gipfel aufbrechen würde. Gestern Mittag sind wir zur Bethlemi Hütte, dem Basislager des Kasbek aufgestiegen. Wie ich finde, hat man den Ort dieses Zwischenlagers sehr gut gewählt. Er liegt wie ein Adlernest, mit Blick weit über den dahinziehenden Gletscher, über die Berge Tuschetiens im schwer zugänglichen östlichen Kaukasus. Mit dem Gipfel im Rücken und der Aussicht ist es ein magischer Ort. Die Hütte selbst, die an einen Industriebau erinnert und herunter gekommen ist, stört diese Gebirgsharmonie. Mit der Zeit fällt sie Gott sei Dank aus unserer Wahrnehmung heraus.
Plötzlich ist es nur noch weiss Heute geht es erstmals ohne viel Gepäck auf Erkundungstour. Zudem ist der Aufstieg bis auf 4500 m als Höhenreiz zur Anpassung geplant. Doch es ist keineswegs ein stoisches Wandern. Wir finden eine vielfältige Gletscherlandschaft mit Schuttmoränen und Eislabyrinthen vor. Riesige Gletscherspalten sind zu umgehen. Hier und da gibt es "Übergänge", wo Geröll oder Eis eine Brücke bilden. Zügig gehen wir hier durch, versuchen uns aber auch jeden Stein einzuprägen. Weiter oben ersetzt eine geschlossene Schneedecke das Geröll und Spaltengewirr. Einem inneren Gefühl folgend legen wir Gurte und Seil an. Wir folgen den Fußspuren und sehen vor uns den Kasbeksattel. Eine Route von der Nordseite, von Russland also, und unser Weg von Süden treffen hier oben zusammen. Ansonsten gibt es noch eine direktere Route, die den Sattel auslässt und vor uns beginnt. Zu der queren wir. Das Gelände ist flach. Nach einem kurzen Ruck ist nichts mehr wie es war. Tobias rammt blitzartig den Eispickel in den Schnee, hält sich und zieht mit der ganzen Kraft am Seil an dem ich hänge. Die scheinbar sichere Schneedecke hat nachgegeben und mich heruntergerissen. Vor ihm sind nur noch meine Fußspuren im weiten Schneefeld zu sehen. Das Seil zieht unablässig. Ich hänge in dieser Gletscherspalte, unter mir die stockdunkle Ewigkeit. Fast automatisch, als hätte ich es schon einmal durchlebt, stemme ich mich gegen die Eiswände, um Halt zu bekommen. Stück für Stück winde und ziehe ich mich heraus. Tobias sieht ziemlich bleich aus.
Zurück im Lager beobachten wir das wuselige Treiben der anderen Bergsteiger. Es sind einige, die in der nächsten Nacht zum Gipfel aufbrechen wollen. Tobias und ich bereden erst einmal ausführlich den Spaltensturz, analysieren unsere Fehler. Der Kasbek hat sich Respekt verschafft. Trotz allem sind wir optimistisch und planen den Gipfeltag. Wir werden kleine leichte Laufrucksäcke benutzen, worin wir je 1 Liter Wasser, 5 Powergels, Regenjacke, Handschuhe und Mütze haben. Seil und Sicherungsmaterial werden wir am Körper tragen.
Die finale Eiswand In der Nacht hören wir ab 1 Uhr Stimmen, das Klappern der Karabiner, Aufbruchsgeräusche. Mit 12-16 Stunden rechnet man für den Kasbek ab der Bethlemihütte für Auf und Abstieg, was uns die lokalen Bergführer auch bestätigen. Als wir halb fünf Uhr starten, sind alle Seilschaften bereits weit entfernt. Mit den Stirnlampen stochern wir in die dunkle und bewölkte Nacht hinein. Wir versuchen unseren Rhythmus zu finden, ohne zu überhitzen. Trotz voller Konzentration verlieren wir unsere bekannte Route durch die Moränen und driften auf den blanken Gletscher ab. Wir folgen für 10 min einer Seilschaft, die diese Passage scheinbar kennt. Eine Wolke stülpt sich über uns, macht alles nass bis weiter oben aus dem Regen Schnee wird. Um nicht zu frieren versuchen wir auf Pausen zu verzichten, essen und trinken im Laufen. Sehen tut man keine 5 m weit und es so lohnt auch kein Blick in die Ferne. Vor der finalen Steilwand haben wir alle Seilschaft überholt und übernehmen jetzt das Spuren. Durch die schlechte Sicht verfehlen wir den Hauptgipfel und landen irgendwo anders. Es ist auch irgendwie ein höchster Punkt, da es rundherum steil abfällt. Nur gute 100 Höhenmeter fehlen. So steigen wir wieder ab und versuchen eine zweite Variante. Diese führt uns zur ca. 45° steilen Eiswand. Wir sind richtig! Die geschärften Steigeisen rammen wir im Fluss unserer Schritte in die griffige Wand bis es nicht mehr höher geht. Dieser Gipfel sieht genauso aus, einzig der Höhenmesser zeigt auf 5047m. Wir sind oben. Der kalte Wind zwingt uns jedoch zum schnellen absteigen. Wir geniessen die Bewegung, die sich schöner anfühlt als der Gipfel selbst.
Pünktlich zum Frühstück sind wir zurück auf der Hütte. Nach genau 5 Stunden und 46 Minuten. Die Bergführer an der Bethlemihütte glauben uns nicht oben gewesen zu sein. Dann zeigen wir ihnen die Gipfelfotos und die Aufzeichnungen des Höhenmessers. So weit sie sich erinnern können, hat es in dieser Zeit noch keiner geschafft auf- und abzusteigen.
Ab Mittag kommt die Sonne und lacht alle aus, die unbedingt am frühen Morgen sich durch die Dunkelheit und den Regen quälen mussten. Es wäre eine perfekte Nachmittagstour geworden.

Georgien hat uns positiv überrascht und mit vielem verwöhnt. Obwohl nur 16 Tage unterwegs, war es wahrlich ein Big Trip. (Der Begriff wurde von der Outdoorlegende John aus Neuseeland geprägt.) Es gäbe eigentlich noch viel mehr Geschichten zu erzählen. Doch am Ende sind sie ja nur die Vorspeise für eure eigene Reise.
Ende.
Herzliche Reisegrüsse von Tobias und Axel (Verfasser)

 

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