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Russischer Wahnsinn (5)

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Expedition Kaukasus | Vom Bergsteigen, den Menschen und der Soloradtour nach Hause


Russischer Wahnsinn (5)

Frei sein Als ich in Pjatigorsk losfahre habe ich 2 starke Gefühle. Einmal Angst vor der grossen Aufgabe und der Ungewissheit und das Zweite ist das herrliche Gefühl, wenn der Wind einem um die Nase weht und das Abenteuer beginnt. Ein Dahinziehender zu sein, frei zu sein. Je stärker ich in die Pedale trete, desto stärker wird dieses zweite Gefühl. Alleine unterwegs zu sein ist sehr emotional. Dies spüre ich nun am eigenen Leib.
Auf dem Rad leben Elena, die gute Seele aus Pjatigorsk hat mir Reiseproviant mitgegeben, was
ich Stück für Stück aufzehre. Dabei habe ich die schlechte Angewohnheit auf dem Rad zu essen, mich sozusagen nicht ordentlich hinzusetzen. Niemand achtet jetzt darauf und so fange ich an, auf dem Rad zu leben. Anhaltentue ich nur für wichtige Gründe, wie beispielsweise fotografieren. In Russland findet man am Strassenrand Kwas-Verkäuferin. Sieht aus wie Cola, ist aber aus fermentierten Brot hergestellt. (Nationalgetränk) Dieses Kwas ist schön kalt und erfrischt herrlich bei der einsetzenden Hitze. Ich schnappe mir den Becher und fahre trinkend weiter.
Wie herrlich !
Die aus Moskau Ich biege am Kreisel mit dem riesigen Russenpanzer ab und drehe meine Richtung nun in die Vorberge des westlichen Kaukasus in die Karacaische-Tscherkessische Republik. Hier war ich mit Tobi schon einmal und die Leute sind mir sympathisch. Dies untermauert die stämmige Verkäuferin, bei der ich am Morgen Brot kaufe. Da mein Russisch zwar
etwas besser, aber immer noch mager ist, sagt sie mir mitfühlend, dass sie auch Ausländerin ist. Und was frage ich. Karacai lautet stolz die Antwort. Ich lache in mich hinein. Die russischen Bergvölker fühlen sich nicht als Russen. Das sind die aus Moskau, ich verstehe.
Deutsch aus dem 17.Jh. Fest trete ich auf meine 2 Pedalen ein, höre mein Bike wie ein Kätzchen schnurren und schaffe mit der Methode über 300 km an 2 Tagen. An diesen zweiten Abend werde ich von einem lächelnden Mann angesprochen. Neben ihm stehen 5 Kinder. 3 weitere sind zuhause. (also 8 eigene Kinder) Er spricht einen deutschen Dialekt, den ich krampfhaft zu zuordnen versuche. Etwas bayrisch, schwäbisch, nein. Hört sich fast an wie ein ehemaliger Flüchtling aus Schlesien. Ich frage. Seine Eltern sind aus Kasachstan und konnten nur deutsch. Die Vorfahren sind vor ca. 200 Jahren von Deutschland nach Kasachstan und haben immer nur deutsch gesprochen. Was ich zu hören bekomme ist also ein über die Jahre erhaltener Dialekt aus dem 17. Jahrhundert. Das ist ja Wahnsinn denke ich bei mir, da bietet er mir praktischerweise eine Dusche an. Auch diese ist wahnsinnig gut.
Eis und Kirschen 150 km weiter erreiche ich Maikop, eine etwas grössere Stadt. Die Beine schmerzen und mein Blick ist nach der Anstrengung auch nicht mehr klar. Da winkt mir Boris zu. Etwas widerwillig fahre ich zu ihm. Ein durchtrainierter junger Mann gibt mir fest die Hand, erzählt das er begeisterter Moutainbiker ist und ob ich schon eine Bleibe habe. Eh, nein, sage ich. Dann komm mit. Sein Blick ist ehrlich und ich folge ihm. Ich bekomme eine gute Suppe, Eis und Kirschen, Kaffee, also alles was das Herz begehrt. Aber mit einem habe ich nicht gerechnet. Die Mutter istKosmetikerin und  sogleich befinden sich meine Füsse in Behandlung. Baden, Schneiden und Massieren. Ich lehne mich zurück, verdrehe die Augen und genieße.
Olympia 2014 Der Abschied am nächsten Morgen fällt logischerweise sehr schwer. Was für ein Glück ich habe, denke ich bei mir. Dann geht es in einsame Regionen und ich überquere kaum merklich die Grenze von Europa zu Asien.
Ein Freudenschauer geht durch meinen Körper. Kurz denke ich darüber nach, weiter bis nach Nepal zu fahren. Doch die Heimat zieht mehr und ich halte den Lenker auf Kurs Westnordwest. Bis ich endlich Sotschi erreiche fordert die Strecke all meine Kraft und zum Schluss nur noch den Willen. Am kommenden Tag sehe alles wieder imrechten Licht. Hier brennt die Sonne und es ist schwer sich vorzustellen, dass 2014 hier Olympische Winterspiele sein werden. Unten Meer und Palmen, ob Berge und Schnee. Eine explosive Mischung, genau so wie die Leute hier. Entweder alter Lada oder dicker bankgewienerter Jeep. Ich atme tief den Enthusiasmus der Russen ein und verlasse das Land wehmütig mit der Faehre übers Schwarze Meer. Doswidanja Russia! Jetzt kurbele ich seit einigen Tagen in der Türkei und versuche krampfhaft mich auf das Land einzulassen. Ich merke, wie ich mein Glas voller Eindrücke erst wieder lehren muss, um Neues aufnehmen zu können. Das Ziel der Heimat vor Augen habe ich bereits gut 1100 km geschafft. Dem
gegenüber steht, nach meiner Schätzung, verbleibende 3200 km. Momentaner Standort ist die kleine Stadt Merzifon, ca. 120 km westlich von Samsun.

➜ durch die Türkei

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